Reitlehre
- Hand / Zügelhilfen - "Hufschlag frei...", 10. Ausg., 1999.Was wäre die Reiterei ohne Sitz und Hilfen?
Nichts! Über die Hilfsmittel und die Wichtigkeit der Hilfen (Sitz - Schenkel - Zügel - Hilfsmittel) habe ich bereits vieles gesagt [1]. Ebenso, daß:
Nach Sitz und Schenkelhilfen gehören auch die Zügelhilfen zu den wichtigen Verständigungsmöglichkeiten.
Die Zügelhilfen dürfen niemals für sich alleine gegeben werden. Die vortreibenden Hilfen (Sitz, Schenkel) haben immer den Vorrang!
Auch wenn schon mal die Rede von z.B. einer "halben Parade am äußeren Zügel" ist, bedeutet das stets, daß das Pferd mit Kreuz/Sitz und Schenkel gegen eine kurzzeitig annehmende Zügelhilfe geritten wird.
Die Zügelhilfen sind ebenso nur in Zusammenhang von (Reiter-)Körper über Schulter, Ober- und Unterarm sowie Hand/Faust und Zügel zu betrachten.
Ist irgendein Körperteil des Reiters verspannt oder verkrampft, pflanzt sich dieses über die Hand bis zum Pferdemaul fort und führt dann beim Pferd zu Verspannungen - selbst dann, wenn "nur" der Daumen gerade, statt dachförmig auf den Zeigefinger gesetzt wird -.
"Die Schulter und der Oberarm gehören dem Reiter - der Unterarm, das Handgelenk und die Hand gehören dem Pferd"[4].
Mit dieser Aussage ist gemeint, daß der Reiter mit leicht zurückgenommenen Schulterblättern die Oberarme locker aus der Schulter "herabhängen" läßt (nicht verkrampft an den Oberkörper pressen), die Ellenbogen Kontakt zum Oberkörper halten und die Zügelfaust das Pferd sanft führt (z.B. im Schritt den Nickbewegungen des Pferdekopfes folgt).
Die Zügelfaust soll geschlossen, aber nicht verkrampft sein. Der Handrücken ist dabei in einer Linie mit dem Unterarm und den Zügeln (aber nicht starr).
Diese Linie, von oben und von der Seite betrachtet, ist eine gerade Linie zwischen Ellenbogen über Unterarm, Handrücken und Zügel bis zum Pferdemaul.
Die kleinen Finger kommen sich näher als die Zeigefinger, und der Daumen ist dachförmig auf den Zeigefinger gesetzt (locker, nicht verkrampft). Er gibt dem/n Zügel/n (Trensen- bzw. Unterlegtrensen- und Kandarenzügeln) einen festen Halt.
Weiterhin sollte man folgendes strikt beachten:
Was ist nun direkt zur Hilfengebung zu sagen?
Leichtes Öffnen und Schließen eines Fingers oder mehrerer Finger - nie Zeigefinger oder Daumen - sind die möglichst immer anzuwendenden Zügelhilfen. Selbst das Öffnen und Schließen des Mittel- oder kleinen Fingers ist eine Hilfe, obwohl diese keinen Kontakt zum Zügel haben (im Sinne der Zügelhaltung auf Trense[5]).
Diese Art Zügelhilfen gleichen dem Bedienen eines gestimmten Instruments - gestimmt durch Daumen und Zeigefinger, die restlichen Finger spielen die Melodien -[6].
Eine wesentlich stärkere Hilfe ist das Eindrehen der Zügelfaust zum Bauch des Reiters hin (möglichst selten und nie nach außen verdrehen).
Maximal sollte man die Schulter zurücknehmen, niemals aber den Unterarm samt Ellenbogen, da dabei die entsprechende Schulter nach vorne verdreht wird.
Der schlimmste Fall ist, daß man konstant bzw. ständig "am Zügel zieht":
Jeder annehmenden Zügelhilfe hat sofort eine nachgebende Zügelhilfe zu folgen.
Auch hier gilt immer:
Die Zügelhilfen müssen im Laufe der Ausbildung immer feiner und unauffälliger werden! - wie alle Einwirkungen -
Betrachten wir nun noch die Ausbildungsskala:
Takt - Losgelassenheit - Anlehnung - Schwung - Geraderichtung - Versammlung
Die korrekte Anlehnung ist nur bei einem (los-)gelassenen und taktrein gehenden Pferd mit einer gefühlvollen Hand/Zügelhilfe möglich. Da ein Punkt der Ausbildungsskala jeden anderen beeinflußt, wird eindeutig klar, daß ohne eine korrekte, feine Anlehnung die weiteren Punkte der Ausbildungsskala nicht in genügendem Maß oder niemals erreichbar sind! Ja, selbst Takt und (Los-)Gelassenheit werden durch eine falsche bzw. schlechte Anlehnung negativ beeinflußt. Die "falsche Anlehnung" ist mit der Aufgabe jeglicher richtigen (klassischen) Reiterei und damit der pferdegerechten Ausbildung gleichzusetzen!
Noch etwas: Der Mensch ist von Natur aus ein handbetontes Wesen. Beim Reiten spielt die Hand aber keine Haupt-, sondern nur eine wichtige Nebenrolle.
A.G.[ *]
[1] A. Groos
[* ] in: "Hufschlag frei...", 7. u. 9. Ausgabe, 1998/1999.[2] Nicht die Stärke der Einwirkung, sondern deren Zeitpunkt sowie Qualität/Güte und Zusammenspiel sind maßgebend!
[3] H. v. Heydebreck, "Die deutsche Dressurprüfung", 2. neubearb. Aufl., Verlag Dr. R. Georgi, Aachen, 1972.
[4] Dr. Beate Ackermann-Arlt, "Zitat".
[5] Zu der Zügelführung und Einwirkung auf bzw. mit Kandare gibt es noch sehr viel zu sagen (z.B. muß der äußere Kandarenzügel in der Wendung nachgeben, während der äußere Trensenzügel anstehen muß, ...).
[6] J. Froissard, "Grundlagen der Dressur", Franckh'sche Verlagshandlung, Stuttgart, 1976.