Reitlehre
- Sitz - "Hufschlag frei...", 9. Ausg., 1999.Was wäre die Reiterei ohne Sitz und Hilfen?
Nichts! Über die Hilfsmittel und die Wichtigkeit der Hilfen (Sitz[1] - Schenkel - Zügel - Hilfsmittel) habe ich bereits einiges gesagt[2]. Ebenso, daß der Reiter die bescheidenen Mittel kennen muß, die ihm zu Verfügung stehen, um sich mit dem Pferd zu verständigen. Auch folgende Anforderung ist bereits geäußert worden:
Das Pferd muss den Reiter verstehen und Freude an der Arbeit behalten.
Nun komme ich auf die Verständigungsmöglichkeiten des Reiters mit dem Pferd zu sprechen.
Die wichtigste Hilfe ist der Sitz:
- "Nur aus einem korrekten Sitz können richtige Hilfen[3] gegeben werden!"[4] -
Neben den üblichen Sitzbeschreibungen:
gebe ich hier folgendes zu bedenken:
1. Man stelle sich vor, man sitzt auf einem übergroßen Ball:
Wenn man "im Gleichgewicht" sitzt, bleibt der Ball liegen. Bewegt man sich, rollt der Ball in die Richtung, in die man seinen Schwerpunkt verlagert (man bringt diesen aus dem Gleichgewicht). Sitzt man auch nur teilweise verspannt auf dem Ball, so bleibt man ebenfalls nicht lange darauf sitzen.
Genauso, wie der Ball die Verlagerung des Schwerpunktes 'merkt' und darauf 'reagiert', spürt das Pferd die Verlagerung des Schwerpunkts.
2. Das Pferd fühlt, wenn eine Fliege auf seinem Rücken sitzt, soll aber angeblich nicht merken, ob wir "korrekt" auf ihm sitzen?
3. Sitzt man - meist mit geradem oder runden Rücken - hinter der Schwerlinie (Ideallinie: Schwerpunkte von Pferd und Reiter sind lotrecht), d.h., man bleibt mit dem Schwerpunkt zurück, weicht man der Bewegung des Pferdes aus und kann somit nicht von Einwirkung sprechen. Der Ausgleich wird durch meist unbewußtes "Nicken / Wackeln mit dem Kopf" oder wenigstens durch Vorstrecken des Kopfes gesucht.
Sitzt man vor der Schwerlinie, entlastet man zwar den Rücken des Pferdes, belastet aber gleichzeitig die Vorhand. Die Wirkung auf den Gang ist die, daß man verhaltend auf den Bewegungsfluß "einwirkt", aber niemals die Hinterhand, und da speziell die Hanke, unter Kontrolle hat, geschweige denn diese aktiviert. Das führt schließlich zum Hinausstrecken der Hinterhand.
Was ist der "korrekte Sitz"?
Der Reiter muss auf alle Fälle seinen Schwerpunkt lotrecht über dem Schwerpunkt des Pferdes halten!
Unsinn? Nein!
Das Pferd bewegt sich und hat daher keinen fixen Schwerpunkt (selbst dann nicht, wenn es steht - es atmet). Daher darf der Reiter nicht stur eine Haltung beibehalten, er muß sich unter Einhaltung der oben genannten Anforderung (Schwerpunkte lotrecht übereinander) den Bewegungen des Pferdes anpassen.
Der Reiter sitzt ohne Verspannung[6], aber auch nicht schwabbelig / wackelig, mit natürlicher Aufrichtung, d.h. mit natürlich geschwungener Wirbelsäule: S-Form - kein Hohlkreuz, aber auch kein gerades Kreuz und schon gar nicht mit nach hinten gebogener Lendenwirbelsäule -, bei gelöster Gesäßmuskulatur im Sattel[7].
Obwohl man sitzt(!), hat man den Eindruck, daß man mit zurückgenommenen Unterschenkeln "kniet" (Gefühl, als wäre das Gewicht mit den Knien aufzufangen).
Niemals aber darf der Reiter den Sitz aufgeben und / oder klammern. Das Klammern mit den Knien und / oder mit dem Schenkel bedeutet die Aufgabe des Sitzes und somit der Einwirkung und der Sicherheit. Das (Gleich-)Gewicht des Reiters wird unkontrollierbar - erst recht für das Pferd -!
Demgegenüber ist der "Kniedruck"[8] eine wertvolle Hilfe, die erst im fortgeschrittenen Stadium der Pferdeausbildung von diesem verstanden wird und dann nur in Verbindung mit einem natürlich anliegenden Schenkel.
Ebenso ist der "Offene Sitz"[8] eine wichtige Hilfe. Falsches Öffnen des Sitzes bedeutet jedoch den Verlust z.B. jeglicher Sicherheit.
Was bedeutet: "Kreuz anspannen"?
Niemals darf der Reiter das Gesäß verkrampfen, noch sein Kreuz versteifen! Mit "Kreuz anspannen" ist gemeint, daß der Reiter sich aufrichtet, ohne dabei seinen Sitz aufzugeben. Dadurch wird die Lendenwirbelsäule gestreckt, aber nicht nach hinten gewölbt oder gar der Oberkörper nach hinten gelehnt oder geworfen (auch kein Hohlkreuz). Gleichzeitig hat der Reiter das Gefühl, daß noch mehr Gewicht mit den Knien aufzunehmen ist.
Wie lerne ich den "korrekten Sitz"?
"Der hauptsächliche Lehrmeister für den Sitz muß dem Reiter immer das Pferd sein"[8].
Notwendig ist allerdings, daß der Reiter gelernt hat, zu fühlen und selbstkritisch zu denken. Bei Anfängern und Reitern mit fehlerhaftem Sitz muß der Reitschüler immer wieder korrekt "hingesetzt" werden (richtige Korrekturen des Ausbilders sind notwendig).
Jedoch: Der Reitunterricht, der auf schablonenhafte [6] Ausbildung ausgerichtet ist, ist ebenso schädlich [9], wie die ständige Forderung nach treibender Einwirkung.
A.G.[ *]
[1] L. Janssen in: "Hufschlag frei...", 6. Ausgabe, 1998.
Anmerkungen:
- Die "trockene Lektüre" gehört zum Handgepäck eines jeden Ausbilders, auch
wenn, oder gerade weil er Pferdewirtschaftsmeister FN ist.
- Es gibt nur eine Faustregel für die Steigbügellänge: Bei korrektem Sitz
müssen die Steigbügel so lang geschnallt werden, daß bei angehobener
Fußspitze der Steigbügel unter dem Fußballen zu liegen kommt!
- Zur Handhaltung: gerade Linie - sowohl von oben, als auch von der Seite
betrachtet - zwischen Maul, Zügel, Handrücken und Unterarm.
- Ein Pferd geht so, wie es bisher geritten wurde.
[2] A. Groos
[*] in: "Hufschlag frei...", 7. Ausgabe, 1998.[3] Der Zeitpunkt sowie die Qualität / Güte und das Zusammenspiel der Einwirkungen sind maßgebend - nicht deren Stärke!
[4] H. v. Heydebreck, "Die deutsche Dressurprüfung", 2. neubearb. Aufl., Verlag Dr. R. Georgi, Aachen, 1972, S. 66.
[5] A. Groos
[*] in: "Hufschlag frei...", 10. Ausgabe, 1999.[6] A. Groos
[*] in: "Hufschlag frei...", 5. Ausgabe, 1998.[7] Auch der Sattel spielt eine Rolle. Er muß besonders, aber nicht nur dem Pferd (Widerrist, Rücken, Schulter, ...), sondern möglichst auch dem Reiter passen. Die Sitzfläche sollte nicht zu groß oder zu klein sein, der tiefste Punkt nicht zu weit hinten liegen, etc. (weitere Erläuterungen folgen sicherlich in einem der kommenden Beiträge).
[8] G. Steinbrecht, "Das Gymnasium des Pferdes":
a) bearb., vervollst. u. herausg. von P. Plinzner, fortgeführt von H. v. Heydebreck,
16. Aufl., Verlag Dr. G. R. Georgi, Aachen, 1995,
b) bearb., vervollst. u. herausg. von P. Plinzner, 2. Nachdr. der 1. Aufl. (1886),
Olms, Hildesheim, 1983.
[9] Schädlich ist auch jegliche Überforderung während der Ausbildung (nicht nur für das Pferd, sondern auch für den Reitschüler).
Nachtrag zu: Reitlehre - Sitz
- "Hufschlag frei...", 10. Ausg., 1999.Ein sehr guter Artikel ist kürzlich in den "Trakehner Heften" Nr.1/99, von Dr. Horst W. Stricker erschienen, der auf den klassischen Sitz, daß heißt korrekten Sitz zu Pferd, eingeht.
Empfohlen ist auch folgende Literatur:
- Dr. Horst W. Stricker, "Reiten heißt sitzen - aber wie ?", Verlag Dr. Stricker, Ostermünchen, 1992.