Reitlehre
- Zweck der Dressur - "Hufschlag frei...", 14. Ausg., 2000.Im letzten Artikel[1] habe ich bereits angekündigt, daß ich etwas zum Sinn und Zweck der Dressur sagen werde.
Was ist der Sinn und Zweck der Dressur?
Diese Frage scheint jeder mit Leichtigkeit beantworten zu können, doch welche Antworten sind das?
Ich raufe mir die Haare, bzw. bekomme graue Haare, wenn ich höre und sehe, was vielerorts gesagt und getan wird.
Man könnte meinen, die Dressur sei nur Selbstzweck und die Lektionen das Ziel der Dressur.
Beispielsweise:
Eines muß eindeutig klargestellt werden: der Sinn und Zweck der Dressur liegt darin, ein Pferd entsprechend seiner Möglichkeiten zu gymnastizieren, geradezurichten und möglichst ins Gleichgewicht zu bringen - nur bei veranlagten Pferden kann die Dressur unter einem guten Reiter soweit fortschreiten, daß diese über das Gleichgewicht hinaus zu höchster Versammlung gebracht, d.h. noch mehr auf die Hinterhand gerichtet werden können; aber auch diese Pferde müssen jederzeit wie eine Remonte geritten werden können.
Das Mittel zum Erlangen eines gymnastizierten Pferdes ist neben der Ruhe der Gang und die korrekte Anwendung der Lektionen (natürlich bei korrekter Hilfengebung) zur richtigen Zeit.
Nochmals: Die Lektionen sind ausschließlich die Mittel zur und nicht das Ziel der Ausbildung!
Bei Dressurprüfungen wird ja nicht nur bewertet, ob ein Pferd z.B. den Außengalopp beherrscht, sondern vor allem, wie es diese Lektion ausführt - die Art der Ausführung der geforderten Lektionen sowie die Übergänge zwischen diesen geben wichtige Aufschlüsse über die Art der Ausbildung und dessen Stand und dieser wird bewertet.
Ein Pferd muß in jeder Dressurprüfung der Kl.L z.B. den versammelten Trab zeigen. Wird dieser versammelte Trab mit "befriedigend" (WN: 6.0) bewertet so wird dieser Versammlungsgrad nicht ausreichen, um in einer M-Dressur zumindest ein "ausreichend" (WN: 5.0) zu erzielen. Das Selbe gilt aber auch für alle anderen Lektionen, Tempi, Übergänge und die Reinheit der Gänge hat immer einen sehr hohen Stellenwert (bei Turnieren leider nicht immer stark genug in der Bewertung berücksichtigt).
Es kann durchaus sein, daß ein Pferd im Trab soweit gefördert ist, daß es die Trabtraversalen taktrein, mit Schwung und viel Ausdruck beherrscht und bereits die Piaffe und/oder Passage ansatzweise zeigt. Es hat jedoch im Galopp soeben den einfachen fliegenden Wechsel kapiert, aber noch gelegentlich Schwierigkeiten mit dem Außengalopp, und erst recht ist es weit weg von Pirouetten.
Das Ziel ist, das Pferd entsprechend seiner Möglichkeiten zu gymnastizierten - nicht die Teilnahme an einer Dressurprüfung einer bestimmten Klasse (obiges Beispiel: Trab: Kl.M/S, Galopp: Kl.A bis Kl.L, max. Kl.M).
Wenn ich das Pferd im Trab in den Seitengängen: Schulterherein, Travers, Renvers, Traversalen soweit gefördert habe, dann habe ich automatisch die Geraderichtung verbessert und somit kann ich auch das Pferd in anderen Lektionen, z.B. Mittel- oder Außengalopp besser reiten und damit weiter ausbilden. Hat sich dann diese Galopparbeit deutlich verbessert, so kann ich auch hier durch Üben des "Schulter vor" im versammelten Galopp sowohl Geraderichtung als auch Durchlässigkeit und Versammlung weiter verbessern. Damit ist dann wiederum der Grundstein gelegt, um dem Pferd die Galopp-Pirouetten und den starken Galopp beizubringen. Gleichzeitig ist die erhöhte Durchlässigkeit und Versammlung gut, um die Piaffe weiter auszubauen. Somit habe ich wiederum die Möglichkeit, Durchlässigkeit, Versammlung, aber auch die Übergänge von Versammlung in schwungvolle Vorwärtsbewegung und umgekehrt zu verbessern. Jeder Fortschritt in einer Übung/Lektion fördert das Gesamte!
Wichtig: Dies ist nur ein Beispiel! Für ein anderes Pferd sieht die Ausbildung möglicherweise völlig anders aus! Z.B. lassen sich einige Pferde im Galopp eher fördern.
Abschließend: Was das Pferd gerne macht (Übungen/Lektionen) sollte man annehmen und nachsichtig verbessern, um dessen Freude an der Arbeit/Gymnastik zu erhalten. Sicherlich darf man als Reiter/Ausbilder nicht vergessen, an den Schwierigkeiten zu feilen - doch sollte man nicht nur und auf keinen Fall verbissen daran arbeiten, denn sonst erzielt man nur Widerwillen und im schlimmsten Fall deutliche Rückschritte in der Ausbildung - das ist wesentlich schlimmer, als keinen Fortschritt zu erzielen.
A.G.[ *]
[1] A. Groos
[*] , "Hufschlag frei...", 11. Ausgabe, 1999.