Reitlehre
- Hand / Pferdekopf - "Hufschlag frei...", 11. Ausg., 1999.Über die Zügelhilfen / Hand habe ich bereits einiges gesagt[1]. Dennoch sind weitere Ausführungen dringend notwendig.
Betrachten wir nun folgende Begriffe:
Anlehnung - Kopfstellung - Beizäumung - Aufrichtung[2].
Beginnen wir nun mit Punkt 1), der Anlehnung:
Sie sagt nichts über die Aufrichtung und Stellung des Pferdekopfes aus. Sie ist nur die stete (nicht starre oder feste), gleichmäßige und gefühlvolle Verbindung der Reiterhand mit dem Pferdemaul, wobei das Pferd (los-)gelassen, taktrein, mit schwingendem Rücken und aktiver Hanke geht oder auch gelassen steht.
Man erkennt dies auch an dem "Kauen" des Pferdes (Schaumbildung - hat nichts mit Tollwut zu tun).
Die Voraussetzungen für das Erreichen der Anlehnung sind zu aller erst das Vertrauen des Pferdes zu dem unabhängig und geschmeidig sitzenden Reiter und dessen weicher und gefühlvollen Hand und dann ein taktrein vorwärtsgehendes Pferd.
Das zuvor gesagte und folgendes führen zu der gewünschten Anlehnung:
Der Reiter treibt das Pferd an seine gefühlvolle Hand heran ( niemals mit der Hand ziehen und das Pferd dadurch formen und in die Anlehnung zwingen wollen). Die Zügelfaust soll das Pferd sanft führen (z.B. im Schritt die Nickbewegungen des Pferdekopfes zulassen).
Fehlerhaft: Pferde mit schwacher Hinterhand haben meist eine zu feste, harte oder auch zähe Anlehnung. Bei der zähen Anlehnung (häufig auch gepaart mit einem toten Maul) bewirkt weder ein Zügelanzug, noch ein Nachgeben eine Veränderung in der Verbindung zum Pferdemaul. Sie ist aber leider zum Großteil auf Abstumpfung und falsche Behandlung zurückzuführen. Die zähe Anlehnung ist auch sehr viel schwerer zu korrigieren als eine feste Anlehnung (Aktivieren der Hinterhand und wiederholte annehmende und nachgebende Zügelhilfen).
Weiterhin fehlerhaft ist das "Über dem Zügel" gehen (häufig Unbehagen oder Schmerzen im Rücken bei Belastung mit dem Gewicht des Reiters) und auch das "Hinter dem Zügel" gehen (verhaltene, nervöse Pferde mit empfindlichem Maul). Diese beiden Fehler werden leider häufig durch falsche Ausbildung provoziert:
"Über dem Zügel": Pferde bekommen zu wenig Zeit, das Gewicht des Reiters mit tiefem Hals und gewölbtem Rücken tragen zu lernen, sie werden zu früh aufgerichtet und zu früh zu stark durch "tiefes" Aussitzen im Rücken belastet. Es ist aber teilweise auch die Flucht des Pferdes vor der Hand eines "Reiters", der nicht genügend mit Sitz und hier vor allem nicht mit den Schenkeln treibt sowie eine gefühlvolle Hand missen läßt.
"Hinter dem Zügel": Pferde werden mit zu harter Hand traktiert, und/oder zu früh, ohne genügend Schwung "versammelt", ohne daß das Pferd dazu körperlich und/oder psychisch in der Lage ist.
Nun zu Punkt 2), die Kopfstellung:
Sie beschreibt die Haltung/Stellung des Pferdekopfes in Relation zum Hals und Körper und ist gemeinsam mit der Haltung des Halses für das Gleichgewicht von großer Bedeutung.
Die Kopfstellung ist abhängig von Körperbau, Ausbildungsstand, Gangart und Tempi (z.B. Versammlung oder starke Tempi).
Was ist nun zur Kopfstellung zu sagen:
Zum einen ist die Höhe der Maulspalte bezüglich der Horizontalen gemeint (Maulspalte in Höhe des Buggelenks beim Reiten am langem Zügel, bis in Hüfthöckerhöhe bei hoher Versammlung).
Dann, von der Seite betrachtet, die Abweichung der Nasenlinie von der Senkrechten. Grundsätzlich hat die Nasenlinie vor der Senkrechten zu sein - je nach Pferd und Versammlungsgrad: 1-2 Finger bis zu einer Handbreite -, maximal darf sie die Senkrechte erreichen aber niemals hinter die Senkrechte kommen!
Betrachtet man das Pferd von vorne, soll die Nasenlinie nicht von der Linie abweichen, die von der Wirbelsäule genau mittig zwischen die Beine des Pferdes verläuft. Eine Abweichung davon ist das sog. Verwerfen im Genick - zwischen Hinterhauptbein und 1. Halswirbel - bzw. das Verwerfen im Hals - verdrillen entlang der Halswirbelsäule [1].
Die Stellung des Pferdes beim Reiten bedeutet das seitliche (von oben betrachtet) Abbiegen des Kopfes zwischen 1. und 2. Halswirbel von der gleichmäßig der Hufschlagfigur (gerade oder kreisförmig gebogen) folgenden Linie zwischen Schweifrübe und Hals des Pferdes, wobei der Hals nur minimal stärker gebogen ist.
Kurz zu Punkt 3), die Beizäumung:
Die Beizäumung ist die korrekte Anlehnung in der Versammlung bei korrekter Kopfstellung und Aufrichtung. Sie richtet sich natürlich nach dem Grad der Versammlung.
Punkt 4), die Aufrichtung:
Die korrekte Aufrichtung zeichnet sich dadurch aus, daß das Genick/Hinterhauptbein des Pferdekopfes den höchsten Punkt beschreibt (bei Betrachtung der Halswirbelsäule).
Aus dem gesagten wird sofort ersichtlich, daß es beim Vorwärtsabwärtsreiten keine Aufrichtung geben kann!
Bei ausgeprägtem Mähnenkamm, wie er bei Hengsten geschlechtstypisch ist, kann bei besonders deutlicher Ausprägung die Mähnenkammlinie minimal höher als das Genick liegen (z.B. im Mitteltrab, niemals aber in hoher Versammlung, wie in der Piaffe oder Pirouette!).
Die richtige Aufrichtung - auch relative Aufrichtung genannt - ist das Resultat der systematischen und korrekten Ausbildung des Pferdes und ist dem Reiter, der der klassischen Lehre getreu ausbildet, der Lohn seiner Arbeit.
Die falsche, durch die Hand erzwungene und durch verkehrten Einsatz von Hilfsmitteln erreichte Aufrichtung - auch als absolute Aufrichtung bezeichnet - hat schon immer größte Verwirrungen in der Reiterei hervorgerufen. Sie ist daran erkennbar, daß das Pferd beim "Zügel aus der Hand kauen lassen" sich entweder gar nicht vorwärts-abwärts dehnt oder den Kopf ruckartig nach vorne-unten reißt. Sie be- bzw. verhindert die Rücken- und Hankentätigkeit. In vielen Fällen paßt die "Aufrichtung" auch nicht zu den gerittenen Tempi und Lektionen[4].
Noch ein wichtiger Hinweis:
Wenn ich ein Pferd beim Reiten tiefer einstellen soll, ist damit nicht gemeint, die Nasenlinie hinter die Senkrechte zu ziehen und dadurch das Genick nach unten zu zerren, sondern die Aufrichtung etwas zu verringern, wobei das Genick trotzdem der höchste Punkt und die Nase vor der Senkrechten bleibt.
A.G.[ *]
[1] A. Groos
[* ], "Hufschlag frei...", 10. Ausgabe, 1999.[2] siehe auch: A. Podhajsky (1939 - 1964 Leiter der Spanischen Hofreitschule in Wien), Die Klassische Reitkunst, Nachdruck der Auflage von 1965, Franckh-Kosmos, Stuttgart, 1998.
[3] Das Verwerfen in der Schulter gibt es auch noch. Damit ist gemeint, daß das Pferd im Halsansatz (an der Schulter) zu stark abgebogen ist (stärker, als die Längsbiegung des Pferdekörpers von Schweif bis Widerrist) und das Pferd über die Schulter ausweicht (z.B. beim Durchreiten der Ecken, Reiten auf dem Zirkel oder Schulter herein).
[4] Der Sinn und Zweck des Reitens liegt keinesfalls in dem Einüben von Lektionen, sondern in der Gymnastizierung des Pferdes mit Hilfe des Ganges und der Lektionen. Leider findet man heute viel zu häufig das Denken in Lektionen (siehe dazu meinen nächsten Artikel).